Als Unternehmensberater und Business Coach verwende ich gerne den etwas platt anmutenden Sinnspruch „Love it, change it, or leave it“. Aus meiner Sicht beschreibt dieser nämlich genau die drei konstruktiven Möglichkeiten, auf Situationen zu reagieren.
Zuallererst kann ich versuchen, eine Situation anzunehmen, anstatt mit dieser in Widerstand zu sein. „Love it“ bedeutet in diesem Kontext jedoch nicht, dass ich die Umstände lieben muss, sondern lediglich, dass ich sie akzeptiere. Ich kann also versuchen, eine andere Haltung zu dieser Situation anzunehmen.
Kann ich mich mit der Situation nicht anfreunden, wie es vermutlich bei einer toxischen Unternehmenskultur häufig der Fall sein dürfte, kann ich versuchen, auf die Situation einzuwirken. Mit „Change it“ ist also der Versuch gemeint, die Situation aktiv zu verändern. Dies kann durch Feedback, Gespräche oder das Einbringen von Verbesserungsvorschlägen geschehen. Jedoch muss auch erkannt werden, dass Veränderung manchmal von der Führungsebene oder anderen Beteiligten blockiert wird oder wegen einer festgefahrenen Kultur nicht möglich ist.
Damit sind wir beim „Leave it“: Wenn mir das Einnehmen einer konstruktiven Haltung bzw. einer Haltung der Akzeptanz nicht gelingt, und alle Versuche der Veränderung erfolglos bleiben, dann ist es oft die gesündeste Option, das Spielfeld zu verlassen. „Leave it“ ist dann ein Akt der Selbstfürsorge.
Natürlich gibt es weiter Möglichkeiten, auf bestimmte Situationen zu reagieren, nur sind diese zumeist nicht konstruktiv. Es auszusitzen beispielsweise, oder nichts zu machen, außer sich aufzuregen und zu jammern. Beispielsweise mit den Kollegen darüber zu lästern, wie blöd und inkompetent doch die eigene Führungskraft ist.
Mein Coaching Blog ist voll von Artikeln zum Thema (Persönlichkeits-)Entwicklung, Feedback, Gesprächsvorbereitung, Außenwirkung uvw. Also Artikeln, die in die Kategorien „Love it“ oder „Change it“ fallen. In diesem Blogbeitrag will ich die dritte Option, das „Leave it“ durchleuchten.
Zur Eingangsfrage: Wann solltest du ein toxisches Arbeitsumfeld verlassen?
Meine Antwort dazu nach über einer Dekade Unternehmensberatung und der Zusammenarbeit mit mehreren tausend Menschen: Nahezu immer!
… aber lass mich das gerne erklären.
Eine toxische Unternehmenskultur bezeichnet ein Arbeitsumfeld, das durch negative, schädliche Verhaltensmuster und Einstellungen gekennzeichnet ist, welche die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter ernsthaft beeinträchtigen können.
In solchen Umgebungen herrschen oft Misstrauen, Angst und Konflikte, manchmal auch eine ungesunde Leistungskultur, die weit über die (gesunden) Bedürfnisse der Mitarbeitenden hinausgeht.
Oft werden schädliche Arbeitsumgebungen gefördert durch eine Führung, die sich häufig durch autoritäres, narzisstisches oder gleichgültiges Verhalten auszeichnet. Nicht umsonst sagt der Volksmund „Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken.“ Und tatsächlich belegen unzählige Studien, dass das Führungsverhalten einen signifikant großen Einfluss auf das wahrgenommene Arbeitsklima hat. Eines der Haupterkentnisse des Gallup Insituts beispielsweise in ihren jährlichen Studien lautet sinngemäß „People join companies, but leave their bosses“.
Mitarbeiter in einer toxischen Unternehmenskultur erleben häufig Stress, Demotivation und auch Burnout, da sie sich in einem ständigen Zustand der Unsicherheit und Unzufriedenheit befinden.
Häufig lässt sich eine schädliche Arbeitsumgebung an den Personalkennzahlen erkennen. Denn es herrschen häufig hohe Fluktuation und kurzen Betriebszugehörigkeiten vor. Glücklicherweise machen eine toxische Unternehmenskultur die meisten Menschen nicht lange mit, und verlassen dann das Unternehmen, was sich eben in den HR-Kennzahlen niederschlägt.
Aber genau wie man nicht nur auf Basis der Kennzahlen direkt auf eine toxische Unternehmenskultur schließen kann, kann man das ebenso wenig bei den weiteren Punkten, die ich gleich benennen werde. Jedoch bieten diese ziemlich gute Indikatoren. Besonders, wenn mehrere von diesen gleichzeitig als auch über einen längeren Zeitraum auftreten.
Fangen wir an mit dem meist Offensichtlichsten: Unfaire Arbeitsbedingungen, bei denen sich Mitarbeiter oft ausgenutzt fühlen.
Lange Arbeitszeiten, keine oder zu wenige Pausen sowie unzureichende Löhne führen nicht nur zu Unzufriedenheit, sondern können auch zu gesundheitlichen Problemen führen. Wenn Arbeitnehmer den Großteil ihrer Zeit in einer stressigen, demotivierenden Umgebung verbringen, leiden sowohl ihre mentale als auch ihre physische Gesundheit.
Ungesunde zeitliche Anforderungen und ständige Überarbeitung können zu Burnout führen und sind nicht zu unterschätzen. Wenn du dich mehrfach von deinem Chef durch ein „Ja ich weiß, gerade ist es etwas viel, aber nach dem Projektabschluss wird es besser!“ abspeisen lässt, ohne gebührend Ausgleich dafür zu bekommen, lässt du definitiv Grenzen überschreiten. Die du zum Wohle deiner Gesundheit besser klar ziehen solltest!
In vielen toxischen Unternehmenskulturen werden die Mitarbeiter nicht für ihre (harte) Arbeit und ihr Engagement anerkannt. Ihre Arbeit wird als selbstverständlich angesehen. „Nicht getadelt ist genug gelobt!“, oder wie war das nochmal?
Wir Menschen haben nun mal das Bedürfnis, für unsere geleistete Arbeit gesehen und anerkannt zu werden. Sollte Lob systematisch ausbleiben, und auch andere Formen der Anerkennung wie (Schmerzens-)Geld erreichen dich nicht in einem Ausmaß, wie du es dir wünschst, dann solltest du das zumindest ansprechen, statt kommentarlos über dich ergehen zu lassen.
In einer Ära, in der Effizienz und Produktivität hoch im Kurs stehen, sind viele Unternehmen in die Falle einer übermäßig hohen Leistungskultur und unrealistischer Anforderungen getappt. Diese Kultur, die auf den ersten Blick als Weg zu Spitzenleistungen und Erfolg erscheinen mag, kann jedoch langfristig zu ernsthaften Problemen führen, sowohl für die Mitarbeiter als auch für das Unternehmen selbst.
Eine überhöhte Leistungskultur zeichnet sich durch die ständige Erwartung aus, dass Mitarbeiter kontinuierlich Höchstleistungen erbringen. Oft ohne Rücksicht auf ihre physische und psychische Gesundheit!
In solchen Kulturen werden unrealistische Ziele gesetzt, die weit über das hinausgehen, was in einem normalen Arbeitsumfeld erreichbar und zumutbar wäre. Diese Zustände des „dauernd abliefern müssen“ sind nicht nur schädlich für die Gesundheit der Mitarbeiter, sondern beeinträchtigen auch ihre Kreativität und Produktivität – ironischerweise genau die Aspekte, die eine hohe Leistungskultur zu fördern versucht.
Hast du ständig das Gefühl, dich beweisen zu müssen, und dein Wohlbefinden und deine Gesundheit wird oft als zweitrangig angesehen, dann ist das eine „red flag“, die auf eine toxische Unternehmenskultur hinweist. Wenn Resultate mehr zählen als der Mensch, der diese erbringt, so liegt es an dir zu entscheiden, ob du Teil einer derartigen Kultur sein möchtest.
Sinnentleerte Arbeit bezeichnet Tätigkeiten, die den Ausführenden als nutzlos, unerfüllend oder redundant erscheinen. Solche Aufgaben bieten weder eine Herausforderung noch eine Gelegenheit zur persönlichen oder beruflichen Entwicklung und tragen kaum oder gar nicht zu den übergeordneten Zielen der Organisation bei. Sie können sich in verschiedenen Formen manifestieren, von überflüssigen Bürokratien bis hin zu mechanischen, wiederholenden Aufgaben.
Auch monotonen Aufgaben, die wenig Raum für Kreativität oder persönliche Entwicklung bieten, führen zu einem Gefühl der Entfremdung und Desinteresse bei der Arbeit. „Bore out“ lässt grüßen.
Eine Kultur des Schweigens und Wegduckens verhindert, dass Probleme offen angesprochen und gelöst werden können. Mitarbeiter, die Angst haben, ihre Meinung zu äußern, oder die das Gefühl haben, dass ihre Beiträge keine Wertschätzung finden, verlieren schnell ihre Motivation und ihr Engagement.
Ein markantes Zeichen einer toxischen Unternehmenskultur ist es, wenn Kommunikation häufig von Geheimhaltung geprägt ist, während Offenheit und Ehrlichkeit unterdrückt werden. Eine konstruktive Fehlerkultur bzw. Feedbackkultur wird hier schmerzlichst vermisst.
Ein narzisstischer CEO kann ebenso eine Atmosphäre der Angst und des Misstrauens schaffen. Die Selbstüberschätzung in der Führung führt oft dazu, dass realistische Einschätzungen und konstruktives Feedback ignoriert werden. Mitarbeiter, die in solch einem Umfeld arbeiten, fühlen sich oft machtlos und entmutigt.
Eine Misstrauenskultur in einem Unternehmen entsteht, wenn Zweifel und Skepsis die zwischenmenschlichen Beziehungen und Führungsstile dominieren. Dies manifestiert sich häufig in einer übermäßigen Kontrolle durch das Management, die von ständiger Überwachung der Mitarbeiter bis hin zum Mikromanagement reicht.
Solche Kontrollmechanismen sind meist Ausdruck eines tief verwurzelten Misstrauens gegenüber den Fähigkeiten oder Absichten der Mitarbeiter. Statt Vertrauen zu fördern und Selbstständigkeit zu ermöglichen, werden Mitarbeiter in ein enges Korsett aus Regeln und Überprüfungen gezwängt, was zu Frustration und Demoralisierung führen kann.
Langfristig unterminiert eine Misstrauenskultur das Vertrauen, hemmt die Kreativität und Eigeninitiative und kann zu einer erhöhten Fluktuation führen, da sich die Mitarbeiter nach einem Umfeld sehnen, in dem sie sich geschätzt fühlen und ihr volles Potenzial entfalten können
Ständige Spannungen, unwertschätzendes Verhalten und Mobbing am Arbeitsplatz sind ernsthafte Probleme, die zu einer vergifteten Arbeitsatmosphäre führen und schwerwiegende Auswirkungen auf die Opfer haben können.
Schädliches Verhalten zeigt sich in Gesten, Worten und Taten, die darauf abzielen, eine Person herabzusetzen, zu demütigen oder ihre Leistungen und Beiträge zu diskreditieren. Mobbing geht noch einen Schritt weiter und beinhaltet wiederholte, feindselige Handlungen, die gegen eine einzelne Person gerichtet sind, wie beispielsweise ständige Kritik, Ausschluss, verbale Angriffe oder die Verbreitung falscher Gerüchte.
Diese Verhaltensweisen schaffen ein Umfeld der Angst und des Misstrauens, beeinträchtigen die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Betroffenen und können zu Burnout, Depressionen und einer verringerten Arbeitsleistung führen. Darüber hinaus untergraben sie das Teamgefüge, die Produktivität und die allgemeine Moral im Unternehmen, weshalb es entscheidend ist, dass Organisationen solche Verhaltensweisen klar erkennen, ernst nehmen und wirksame Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung ergreifen.
Mobbing und andere Verhaltensweisen wie Diskriminierung oder Sexismus sind nicht nur schädlich für die Betroffenen, sondern stellen ernstzunehmende Straftaten dar, wenn etwa Tatbestände wie Körperverletzung, Beleidigung, Nötigung, Verleumdung, üble Nachrede oder Datenbeschädigung vorliegen. Hier ist also akuter Handlungsbedarf angezeigt!
Ich glaube ja an Selbstwirksamkeit. Also daran, dass man Verantwortung übernehmen und versuchen sollte, Situationen proaktiv in eigenem Sinne zu beeinflussen.
Sollten jedoch eins oder mehrere Anzeichen einer toxischen Unternehmenskultur bei dir im Unternehmen vorherrschen, so liegt es an dir, dir zu überlegen, ob der Aufwand, positiven Einfluss auszuüben, den Nutzen übersteigt. Und vor allem, ob es überhaupt möglich ist, aus eigener Kraft (oder mithilfe relevanter Stakeholder) die gewünschten Veränderungen herbeizuführen.
Meine Erfahrung als langjähriger Unternehmensberater ist, dass sich dieser Kampf für ein Individuum oft nicht lohnt.
Unternehmen können zwar Change Prozesse durchlaufen und sich tatsächlich verändern. Ob du dabei jedoch mitziehen solltest, auf Kosten deiner Bedürfnisse, gesunden Grenzen und auch zulasten deiner Gesundheit, wage ich zu bezweifeln.
Wenn dir die Abgrenzung bei überzogen Aufgaben oder unwertschätzendem Verhalten nicht gelingt (lese hier gerne meinen Blogbeitrag zum „Nein“ Sagen oder zum konstruktiv Feedback Geben), so ist es aus meiner Sicht das Beste, was du machen kannst, dir ein anderes Spielfeld zu suchen.„Leave it!“ eben.
„Ja, ABER …“ möchtest du vielleicht einwerfen, „es geht nicht, weil (ein Grund deiner Wahl)“ ... Glaube mir, egal wie individuell dir deine Begründung vorkommt, warum es nicht geht: Diese habe ich mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit schon dutzende Male gehört. Ob diese jedoch einer objektiven Betrachtung (wenn wir alle irrationalen Ängste mal wegnehmen sowie realistische Optionen durchleuchten) standhält und tatsächlich wichtiger ist als deine mentale und körperliche Gesundheit, weiß ich nicht. „Leave it“ ist in vielen toxischen Situationen eine ziemlich gesunde Alternative, der du wahrscheinlich nachgehen solltest!